Das ZDF-Interview von Claus Kleber gestern mit Barak Obama ist ein guter Zeitpunkt, um noch einmal auf eines der ungewöhnlichsten Fernseh-Interviews hinzuweisen, dass es je im deutschen Fernsehen gegeben hat:
Das Interview von Claus Kleber mit dem iranischen Staatspräsidenten Mahmud Ahmadinejad 2012 in Teheran.
Jeder, der sich nur ein bisschen für Politik und Medien interessiert, sollte das rund 40-minütige Gespräch einmal in voller Länge gesehen haben. Das Interview ist aus mehreren Gründen außergewöhnlich.
Das ZDF hatte sich lange um ein Interview mit Ahmadinejad bemüht. Nachrichtenprofi Claus Kleber findet in Teheran aber eine Interviewsituation vor, die er so garantiert nicht erwartet hat und die ihn sichtlich überfordert.
Kleber und die Kinnlade
Im Screenshot fällt Kleber gerade die Kinnlade herunter, als ihm Ahmadinejad eröffnet, Iran habe während der Wirtschaftskrise bewusst darauf verzichtet, wirtschaftlichen Druck auf Europa auszuüben. Denn dort könnten sonst bis zu 300.000 Arbeitsplätze verschwinden.
Im Laufe des Interviews eröffnet Ahmadinejad Kleber außerdem, dass er die Deutschen liebe und schließt die deutsche Bundesregierung ausdrücklich mit ein!
Auch an einer anderen Stelle verliert der überrumpelte Kleber kurzfristig die komplette Kontrolle über seine Mimik, als er sich nämlich von Achmadinejad sagen lassen muss, nun rede er aber wie ein europäischer Politiker.
Der Interviewer wird zum Interviewten
Äußerst ungewöhnlich ist das Interview auch deshalb, weil der Interviewte (Ahmadinejad) immer wieder die Rollen umdreht. Klebers Fragen führen oft zu einer ganzen Salve von Gegenfragen.
Kleber, der es gewohnt ist, dass seine Interviewpartner schön brav seine Fragen im Rahmen der westlich vorherrschenden Denkstrukturen beantworten, wird durch diese Gespräch voll auf dem falschen Fuß erwischt.
Sowohl gesprächstechnisch, als auch inhaltlich tut er sich schwer, dem iranischen Staatspräsidenten auf Augenhöhe zu begegnen.
Das große Missverständnis
Das ganze “Interview” kann auch als ein großes Missverständnis betrachtet werden. Während Kleber in der Erwartung einer klassischen Interviewsituation (Frage- und Antwortspiel) nach Teheran reist, sieht Ahmadinejad in dem deutschen Journalisten eher so eine Art Gesandten Europas für bilateralen Austausch.
Hier prallen konträre Weltsichten aufeinander. Und diese Diskrepanz macht den großen Reiz des Gespräches aus.
Interviewkultur in Deutschland
Von einem medientheoretischen Gesichtspunkt heraus betrachtet wäre es wünschenswert, wenn es mehr Interviews gäbe, die nicht vorab abgesprochen und deshalb gut für Überraschungen sind. Die Interviewkultur in Deutschland ist eben sehr oft einfach nur langweilig.
Politische Interviews in Deutschland finden oft in enger, kontrollierter Umgebung statt – mit vorhersehbaren Resultaten.
Das Interview von Claus Kleber mit Ahmadinejad kann man in voller Länge auf der großen Videoplattform ansehen. In der Suchmaske einfach “Kleber Ahmadinejad” eingeben.
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